Inhalt

Ausblick für die Tech-Branche

Die Bewertungen der Tech-Branche sind zurückgegangen. Zu den anfänglichen Sorgen um eine Zinserhöhung in den USA kommen nun die Ängste vor einem weltweiten Konjunkturabschwung und den Folgen des Krieges in der Ukraine hinzu. Wie sollten Anleger sich positionieren?

 

Von James Mazeau
Ökonom (Chief Investment Office, CIO), UBS

 

Die Tech-Branche repräsentiert etwa ein Drittel der weltweiten Marktkapitalisierung. Tatsächlich werden mit der Bezeichnung «Tech», Unternehmen aus mehreren Sektoren zusammengefasst. Es handelt sich dabei um die Halbleiterindustrie, Hardware, digitale Medien, Online-Handel, Software und Dienstleistungen. Die Tech-Branche fasziniert, insbesondere scheinen die Anleger einen Kult um einige Mega-Caps zu machen. Allerdings verläuft die Wertentwicklung seit Jahresbeginn enttäuschend. Dafür gibt es verschiedene Gründe.

 

Das Gewinnwachstum

Die Gewinnwachstumsaussichten sind ein Schlüsselfaktor für die Bewertung von Tech-Aktien. Dies ist im Übrigen eines der Merkmale von Wachstumsaktien: Die Bewertungen beruhen in hohem Masse auf der Fähigkeit der Unternehmen, ihre Gewinne sehr schnell zu steigern.

In der letzten Berichtssaison haben einzelne grosse Unternehmen sehr enttäuscht. Insgesamt waren die Nachrichten jedoch gut und es gab keine signifikanten Hinweise auf eine Abschwächung des Wachstums, das bei rund 15 Prozent liegt. Allerdings kam es am Markt zu einem «Derating», das heisst, die Einschätzung der Anleger in Bezug auf die Fähigkeit der Unternehmen, dieses Wachstumsniveau langfristig aufrechtzuerhalten, verschlechterte sich.

 

Anhebung der Zinsen

Neben dem Wachstumsausblick ist auch der Diskontierungssatz von Bedeutung. Die Bewertungen von Tech-Unternehmen reagieren sensibel auf die Höhe der Zinssätze. Diese werden zur Berechnung des Barwerts zukünftiger Gewinne herangezogen, die manchmal noch in weiter Ferne liegen. Wenn die Zinsen oder die Erwartungen von Zinserhöhungen steigen, sinken automatisch die Bewertungen.

Zu Beginn des Jahres waren Tech-Aktien mit am stärksten von den Besorgnissen wegen einer Straffung der Geldpolitik der US-Notenbank betroffen. Diese wird die geldpolitischen Rahmenbedingungen einschränken, doch vielleicht nicht so schnell, wie im Januar erwartet. Was die Bewertungen angeht, sind die voraussichtlichen Auswirkungen steigender Zinsen zum grossen Teil bereits in den Kursen berücksichtigt.

 

Disruptive Technologien dürften Wachstum verzeichnen

Was die Effekte von steigenden Zinsen und Gewinnwachstum angeht, dürfte bei disruptiven Technologien Letzteres überwiegen. Dieses Thema eignet sich für Anleger mit einem langen Anlagehorizont. Es beruht auf disruptiver Innovation – diesen Begriff prägte Clayton Christensen, Professor an der Harvard University in den USA. Er bezeichnet einen Prozess, in dessen Verlauf sich ein Produkt oder eine Dienstleistung zunächst in einfachen Anwendungen am unteren Ende eines Marktes entwickelt, dann allmählich entlang der Wertschöpfungskette aufsteigt und schliesslich etablierte Konkurrenten verdrängt.

Dieser Prozess ist seit einigen Jahren in vielen Bereichen zu beobachten. Der Online-Handel und die FinTech Unternehmen sind perfekte Beispiele dafür. Auch wenn dieses Phänomen in letzter Zeit stark an Bedeutung gewonnen hat, befindet es sich noch in den Anfängen.

Bei den Nutzniessern disruptiver Innovationen muss man zwischen Unternehmen unterscheiden, die disruptive Technologien bereitstellen, und solchen, die sie nutzen. Doch dürften sich voraussichtlich beide Kategorien als Gewinner erweisen und sie werden überdurchschnittliche Wachstumsaussichten bieten. Bei den Technologie-Enablern bestehen solide Wachstumsaussichten in den Bereichen Cloud, Big Data und künstliche Intelligenz.

 

Aktuelle Gelegenheiten nutzen

In den letzten Wochen hat der Krieg in der Ukraine zu einem drastischen Anstieg der Marktvolatilität geführt. Diese Schwankung bieten allerdings auch Investitionsmöglichkeiten. Im Tech-Bereich bieten sich Gelegenheiten bei Unternehmen, die disruptive Technologien entwickeln und deren Bewertungen gelitten haben, sowie bei den sogenannten erstklassigen Tech-Unternehmen. Darunter sind Unternehmen zu verstehen, die einen hohen, stabilen und wiederkehrenden Cashflow erwirtschaften. Bei Unternehmen mit einem zyklischen Risiko, wie zum Beispiel in der Halbleiterbranche, sollte man hingegen vorsichtig sein.

Grüne Technologien haben sich in den vergangenen Wochen ebenfalls unterdurchschnittlich entwickelt. Die globalen Aussichten dieses Universums dürften jedoch durch einen starken strukturellen Trend gestützt werden. Langfristig kommt der Übergang zu Wirtschaftssystemen, die weniger Treibhausgase ausstossen, Unternehmen zugute, die in diesem Bereich tätig sind. Auch das verstärkte Interesse an Energieunabhängigkeit dürfte unterstützend wirken.

Im historischen Vergleich sind die Bewertungen von Technologietiteln nach wie vor hoch, trotz eines Rückgangs der Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV). Anfang Januar lag das weltweite KGV bei 27,4, aktuell steht es bei 22. Eine Abwärtskorrektur bei den Gewinnen in Verbindung mit einem anhaltenden Zinsanstieg könnte dafür sorgen, dass das KGV auf 20 fällt. Bei solchen Niveaus wären die Bewertungen attraktiv.

Die Volatilität dürfte auch in den kommenden Wochen anhalten. Die Anleger können davon profitieren, um ihr Engagement in Technologiewerten anzupassen. Man sollte jedoch keine zu konzentrierten Positionen aufbauen, sondern einen diversifizierten Ansatz verfolgen, indem man auch in kleine und mittelgrosse Unternehmen investiert.

 

Biografie

James Mazeau arbeitet als Ökonom im Research von UBS (Chief Investment Office, CIO), sein Schwerpunkt liegt im Bereich der Vorsorge. Er kam 2017 als Risikomanager zu UBS. Zuvor hatte er bereits ähnliche Funktionen bei einem anderen Bankinstitut bekleidet. James Mazeau ist ausgebildeter Agraringenieur und hat einen Master in Finanz- und Bankwesen der Universität Lille 2 (Frankreich).